Die Geschichte der Nebenbahn
Göppingen - Boll Kapitel 10:
Bahnhöfe und Gleisanschlüsse
von Michael Ott
Sieben Bahnhöfe bzw. Haltepunkte und nahezu die gleiche Anzahl
Gleisanschlüsse existier(t)en im Verlauf der 12,193 km langen Voralbbahn,
welche im folgenden Beitrag näher beleuchtet werden sollen. Mit diesen
Ausführungen schließt unsere 10-teilige Beitragsserie zur Geschichte der
Zweigbahn Göppingen - Boll ab. Weitere historische Betrachtungen sollen den
anderen Nebenbahnen im Landkreis Göppingen gewidmet werden.
Bereits in der Planungsphase der Boller Bahn war man um eine gute
Anbindung möglichst vieler Voralb-Gemeinden mit Haltestellen in ortsnaher
Lage bemüht. Indes erzwangen topografische und wirtschaftliche Gründe (d.h.
geringe Steigungen bis max. 1:45 und eine direkte Linienführung) den Bau der
Stationen zumeist in großzügiger Distanz zu den Ortschaften, was den
Bewohnern teils längere Anmarschwege bescherte. Die allgemein übliche
Siedlungsentwicklung der Gemeinden "hin zum Bahnhof" egalisierte diesen
Nachteil später wieder, wie das Beispiel Eschenbach auf positive Weise
verdeutlicht. Ein Extremfall war gewiss der 2,5 km vom Ort entfernte Bahnhof
Schlat: Erst mit dem Bau der bevölkerungsreichen Wohnsiedlungen Ursenwang
und Manzen in den 50er Jahren rückte die Haltestelle schließlich in
"Kundennähe" und brachte schließlich auch die Umbenennung in "Göppingen-Schlat".
Die Ausführung der Stationsgebäude entsprachen der allgemein üblichen
Bahnarchitektur für Nebenbahnen der 20er Jahre, länderbahntypische
Stilkomponenten sind nicht mehr zu finden. Massive, eingeschossige Gebäude
mit angebauten Güterschuppen befinden (bzw. befanden) sich in Holzheim,
Ursenwang-Schlat, Heiningen und Boll. Bei ihrer Errichtung wurde
Jurament-Baustein aus den Steinbrüchen der Umgebung verwendet. Wie bereits
berichtet, wurden diese Bahnhöfe von Bahnagenten - zumeist Ehefrauen von
Eisenbahnern - betreut; nur in der Kurgemeinde Boll gab es eine feste
Dienststelle. Einfachere Gebäude aus Holz befinden sich in St. Gotthardt,
Eschenbach und Dürnau. Bei einer Fahrt von Göppingen nach Boll berührte der
Zug folgende Betriebsstellen:
- Km 0,0 Bhf. Göppingen: seit 11.10.1847 Station an der Hauptbahn
Stuttgart-Ulm; umgebaut und vergrößert 1914-1917 unter Berücksichtung der
Nebenbahnen GP-Gmünd und GP-Boll
- Km 1,1 Anschlussgleis zur ehem. Fa. A. Gutmann & Cie in der
Fabrikstraße (Bauwollspinnerei, gegr. 1840); heute Anschluss zur neuen
Fahrzeughalle der Fa. Leonhard Weiss
- Km 1,5 Anschlussgleis zur Fa. Leonhard Weiss in der Fabrikstraße
(Bauunternehmung, gegr. 1900); heute werden hier modernste Gleisbauzüge
abgestellt
- Km 3,0 Bhf. Holzheim: massives Stationsgebäude mit angebautem
Güterschuppen, 1 Durchgangsgleis, 1 Kreuzungsgleis mit Nutzlänge 180 m, 1
Gütergleis mit Kopframpe, 1 Freiladegleis; Bahnhof wurde 1992 von der
Stadt Göppingen erworben und 1999 abgebrochen
- Km 3,4 Anschlussgleis I Furnier- und Sperrholz AG; Gleis existierte
nur kurze Zeit
- Km 4,2 Anschlussgleis zur Jura-Ölschieferwerke AG (gegr. 1920,
stillgelegt 1931) / später Anschlussgleis II der Furnier- und Sperrholz AG
und Sägewerk Mundorff / seit 1969 Spedition Wackler; befahren bis Anfang
der 90er Jahre, für Rangierfahrten auf ihren Werksgleisen besaß die Fa.
Wackler eine Kö-Kleindiesellok aus den 30er Jahren
- Km 4,7 Haltepunkt St. Gotthardt: Kleines Stationsgebäude aus Holz
(Unterstand)
- Km 5,7 Bhf. GP-Schlat: massives, Stationsgebäude mit angebautem
Güterschuppen (heute Privat genutzt); 1 Durchgangsgleis, 1 Kreuzungsgleis
mit Nutzlänge 230 m, 1 Freiladegleis; dieser Bhf. wäre im Fall einer
re-aktivierten Voralbbahn der zentrale Kreuzungspunkt für den 30 min.
Taktverkehr (Rückfallweichen)
- Km 7,5 Haltestelle Eschenbach: Kleines Stationsgebäude aus Holz (von
Förderverein renoviert und betreut), 1 Freiladegleis (Anschlussgleis der
Gemeinde)
- Km 9,1 Bhf. Heiningen: massives Stationsgebäude mit angebautem
Güterschuppen, 1 Durchgangsgleis, 1 Kreuzungsgleis mit 206 m Nutzlänge, 1
Gütergleis mit Kopframpe, 1 Freiladegleis. Das Gebäude wurde im März 2001
abgebrochen; heute befinden sich an dieser Stelle ein Supermarkt; von den
Gleisanlagen existiert nur noch das Durchgangsgleis, auf dem die Gemeinde
2002 ein Wagen-"Denkmal" (ehem. Bauzugwagen B3y) aufstellen ließ.
- Km 10,8 Anschlussgleis der Spar- und Darlehenskasse
Dürnau-Gammelshausen mit Nebenanschluss zur Fa. Gralglas
(Gral-Kristallglas-Manufaktur, gegr. 1930 in Göppingen, aufgelöst 1987;
ein kleines, sehenswertes Museum im Dürnauer Schloss erinnert an diesen
Traditionsbetrieb). Der 1929 errichtete Gleisanschluss zum Gelände der
erst später hier angesiedelten Fa. Gralglas diente ursprünglich als
Zufahrt zur Umladestation einer zum Steinbruch unterhalb des Kornberges
führenden Loren-Seilbahn, wo die Jura-Ölschiefer AG für wenige Jahre
Kalkstein für die Zementfabrikation abbaute.
- Km 10,9 Haltestelle Dürnau: kleines Stationsgebäude aus Holz (heute in
Privatbesitz und umgebaut), 1 Durchgangsgleis, 1 Abzweiggleis zu den
Gleisanschlüssen in km 10,8. Die Fa. Märklin führte das Dürnauer
Stationsgebäude lange Zeit als Modell (Maßstab 1:220) in ihrem Programm.
- Km 12,2 Bahnhof Boll: größeres, massives Empfangsgebäude mit Schalter-
und Wartehalle, Bediensteten-Wohnung, Gebäude seit Anfang der 90er Jahre
in Privatbesitz und umgebaut zum Hotel Garni "Rosa Zeiten" ("Das Gästehaus
im alten Bahnhof"), umfangreiche Gleisanlagen (Freiladegleise,
Kopframpengleis) und Nebengebäude wie großer Güterschuppen, 1-ständiger
Lokschuppen (nicht mehr vorhanden) und kleine Bahnhofsgaststätte
(inzwischen zum Wohnhaus vergrößert und umgebaut).
Anmerkung.: Die in ursprünglichen Planungen vorgesehenen Gleisanschlüsse
zur früheren Württembergischen Genossenschafbrauerei in Holzheim und zur
Dampfziegelei in Heiningen wurden nicht verwirklicht.
Wie könnten die Bahnhöfe und Gleisanschlüsse
in der Zukunft aussehen ?
Ein Blick auf die rund 50 m lange Modulanlage des Fördervereins sagt
hierzu mehr als tausend Worte: Moderne, transparente Wartehäuschen mit
großen Infotafeln und Fahrscheinautomaten im Corporate Identity der
Voralbbahn, wettersichere Fahrradabstellplätze und sauber angelegte
Bahnsteige prägen das Bild.
Den Abbruch der zuletzt sehr desolaten Stationsgebäude von Holzheim und
Heiningen betrachtete unser Verein deshalb distanziert. Neue, zusätzliche
Haltestellen würden in Göppingen-Bodenfeld / Industriegebiet Heininger
Straße, Holzheim-Mitte und Gewerbepark Voralb zusätzliche Fahrgastpotentiale
erschließen.
Im Zusammenhang mit einem neuen Güterverkehrs-Konzept käme dem
bestehenden Gleisanschluss zur Spedition Wackler (km 4,2) und einer
optionalen Anbindung des Gewerbeparks Voralb bei Eschenbach (gegr. 1979,
heute ca. 80 ansässige Betriebe) größere Bedeutung zu. Wie gesagt: Unsere
viel beachtete Modellbahn-Anlage vermittelt eine Vision vom Aussehen einer
modernen Voralbbahn in der Zukunft. |
Geschichte
im Detail
verfasst von Michael Ott
Mit Engagement und Akribie befasste sich Michael Ott mit der Geschichte
der Boller Bahn.
Die folgenden Aufsätze geben ein umfassendes Bild der Entwicklung von der
ersten
Planung bis zur vorläufigen Stilllegung im Jahr 1989
Edition 1
Die Planungsphase seit 1899
Edition 2
1912 Expose von Dr. Keck
Edition 3
Das Endstadium der Planung
Edition 4
1926
Streckenbeschreibung
Edition 5
Die Eröffnung 1926
Edition 6
Fünf Jahrzehnte
Betriebsalltag
Edition 7
Auf dem Weg zur Stilllegung
Edition 8
Vorläufiger Abschied
Edition 9
Tourismus und Sonderzüge
Edition 10
Bahnhöfe und Gleisanschlüsse
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