Die Geschichte der Nebenbahn
Göppingen - Boll Kapitel 9: Tourismus und Sonderzüge
von Michael Ott
Teil 8 unserer historischen Rückschau (Voralbbahn Nachrichten
Jan./2002) berichtete von der Situation in den Jahren 1989 bis 1997, vom
letzten Betriebstag am 27. Mai 1989 und dem sukzessiven Rückzug der DB aus
dem Güterverkehr. Die touristische Seite der Voralbbahn ist Bestandteil der
folgenden Ausführungen.
Die Topografie der Landschaft im unmittelbaren Bereich
unserer Bahnstrecke umfaßt Höhenlagen zwischen 315 m
(Bahnhof Göppingen) und ca. 800 m über NN (Boßlergipfel)
und bietet Naturfreunden, Wanderern, Radlern, Geologen,
Kurgästen und Erholungssuchenden vielfältigste Abwechslung und
Betätigungsmöglichkeiten. Vor rund 180 Millionen Jahren erstreckte sich hier
das tropisch warme Jurameer, wo sich riesige Fischsaurier bis zu 18 m Länge
tummelten, des weiteren gab es Tintenfische, Krokodile, Seelilien und
Korallen, an den Stränden wuchsen Palmen und in der Luft schwebten
Flugsaurier. Die offene Lage der
Gesteinsschichten des schwarzen, braunen und weißen
Juras machen das Traufgebiet der Schwäbischen Alb heute
zu einem Bilderbuch der Erdgeschichte, die weltbekannten
Fundstellen im Raum Bad Boll / Holzmaden zeugen von
diesem einzigartigen “Jurassic-Park”.
Der regen Vulkantätigkeit vor ca. 18 Millionen Jahren verdanken
Thermalbäder wie in Boll, Ditzenbach, Überkingen und Beuren ihre Existenz.
Steil aufragende Weißjurafelsen, ausgedehnte Buchenwälder, Wachholderheiden,
Streuobstwiesen, Trockentäler, Karsthöhlen, Wasserfälle, Klingen und
Burgruinen prägen heute die Landschaft der “Filsalb”, die vor gut 100 Jahren
durch den Schwäbischen Albverein mit einem dichten Netz von Wanderwegen
erschlossen wurde. Bereits in der “Denkschrift zum Projekt einer
normalspurigen Nebenbahn Göppingen-Boll” aus dem Jahre 1912 wurde auf die
touristischen Besonderheiten des Voralbgebietes hingewiesen: “In Bad Boll,
das den Endpunkt der Bahn bilden soll, befindet sich eine seit der Mitte des
16. Jahrhunderts benützte Schwefelquelle. Das reizend gelegene Bad ist ein
das ganze Jahr hindurch viel
besuchter Erholungsort. Der in unserer Gegend schon
heute bestehende lebhafte Touristenverkehr wird beim
Vorhandensein einer Bahn zweifellos noch erheblich
zunehmen, weil dann auch beliebte Ausflugspunkte des
Albvereins wie Fuchseck, Boßler, Reußenstein etc. weit
bequemer erreicht werden können.” Nach zweijähriger Bauzeit weihten die
Göppinger Naturfreunde 1923 das Boßlerhaus (785 m üNN) bei Gruibingen ein,
im Eröffnungsjahr der Boller Bahn im Jahr 1926 vollendete der Schwäbische
Albverein das Wanderheim Wasserberghaus (700 m üNN) bei Schlat. Beide Häuser
liegen in prächtiger Aussichtslage und wurden von den “Luftschnappern” aus
den grauen Industriestädten des Fils- und Neckartales als Stützpunkt derart
gut angenommen, daß bereits wenige Jahre später Erweiterungen notwendig
wurden. Weitere, teils öffentlich zugängliche, teils private Hütten
gesellten sich in der Folgezeit hinzu, wie z.B. die Kornberghütte,
Wolfsbühlhütte, Sickenbühlhütte oder die Weilheimer Skihütte. Wie von den
Initiatoren vorgesehen, wurde die Voralbbahn von Anfang an ihrer
Zubringerfunktion für Wanderer und Wintersportler gerecht; besonders an
wetterbeständigen Wochenenden und Feiertagen strebte alles zur Naherholung
in Richtung Alb, und mit Ausnahme des dabei benutzten Verkehrsmittels hat
sich bis Heute nur wenig daran geändert. Frühe Alb-Wanderbücher wie jenes
von Julius Wais (erschienen 1903-1936 in 12 Auflagen) empfahlen die Bahnhöfe
Schlat und Boll als günstige Ausgangspunkte. Schon Anfang der 30er Jahre
forderten die Wandervereine erstmals eine Verbesserung des sonntäglichen
Zugangebotes und der Zuganschlüsse
in Göppingen, dem die Deutsche Reichsbahn “aus betrieblichen Gründen” indes
nicht nachkam. Vormittags
fuhren die Züge ab Göppingen um 6.40 Uhr, 8.08 Uhr und 10.38 Uhr, die
Rückfahrten ab Boll erfolgten jeweils um 16.14 Uhr, 18.25 Uhr und 19.52 Uhr
bei einer Fahrzeit von ca. 30 Minuten (Anm.: 1975 wurde der Sonn- und
Feiertagsverkehr auf Busse umgestellt).
weiter mit Fortsetzung [Zweiter
Teil "Tourismus"]
|
Geschichte
im Detail
verfasst von Michael Ott
Mit Engagement und Akribie befasste sich Michael Ott mit der Geschichte
der Boller Bahn.
Die folgenden Aufsätze geben ein umfassendes Bild der Entwicklung von der
ersten
Planung bis zur vorläufigen Stilllegung im Jahr 1989
Edition 1
Die Planungsphase seit 1899
Edition 2
1912 Expose von Dr. Keck
Edition 3
Das Endstadium der Planung
Edition 4
1926
Streckenbeschreibung
Edition 5
Die Eröffnung 1926
Edition 6
Fünf Jahrzehnte
Betriebsalltag
Edition 7
Auf dem Weg zur Stilllegung
Edition 8
Vorläufiger Abschied
Edition 9
Tourismus und Sonderzüge
Edition 10
Bahnhöfe und Gleisanschlüsse
|