Die Geschichte der Nebenbahn
Göppingen - Boll Kapitel 8:
(Vorläufiger) Abschied
von Michael Ott
In Teil 7 unserer historischen Rückschau (siehe Voralbbahn Nachrichten
1/2001) beschrieben wir die langjährige, kritische Phase bis zur Einstellung
des Schienen - Personen - Nahverkehres (SPNV) im Jahr 1998. Der letzte
Betriebstag und die Situation
bis zur Gesamtstilllegung im Jahr 1997 sind Bestandteil der folgenden
Ausführungen.
Wie bereits berichtet, leitete die damalige Bundesbahn-direktion Stuttgart
am 11. März 1987 das gesetzliche Verfahren zur Einstellung des SPNV auf der
Boller Bahn ein. Zwei Jahre später, am 6. März 1989, kam die verbindliche
Nachricht der DB an die Anliegergemeinden, dass der Personenverkehr
definitiv zum Fahrplanwechsel am 28. Mai 1989 enden wird. Auszug aus dem von
DB Präsident Dr. Ulf Häussler unterzeichneten Schreiben: “ ... nach unseren
betriebswirtschaftlichen Untersuchungen kann die Nebenbahn Göppingen-Boll -
auch unter Berücksichtigung der mir vorliegenden Vorschläge Dritter - im
Personen-verkehr nicht kostendeckend betrieben werden. Die im Zusammenhang
mit dem Innenministerium und dem Landratsamt Göppingen durchgeführten
Untersuchungen haben vielmehr ergeben, dass der noch auf der Schiene
liegenden Personenverkehr auf dieser Stecke durch im Auftrag der Regionalbus
Stuttgart RBS eingesetzte Straßenbusse Dritter, kostengünstiger bedient
werden kann ...”.
Am Samstag, den 27. Mai war es schließlich so weit: Nach
63 Betriebsjahren befährt der letzte planmäßige Personenzug die
Kursbuchstrecke 902. Bereits Wochen zuvor “stimmte” die Lokalpresse die
Bevölkerung auf die bevorstehende “Angebotsumstellung” ein, so dass man in
der Schlußphase eine deutliche Zunahme der Fahrgast-zahlen und der am
Streckenrand postierten Fotografen konstatieren konnte. Am letzten
Betriebstag zeigte sich sogar die DB noch einmal flexibel und verdoppelte
das Platzangebot wegen des zu erwartenden Andranges auf eine 6-teilige
Schienenbuseinheit. Lokführer Hermann Albus aus Rottenburg und die beiden
Zugbegleiter Gerhard Pflüger (Göppingen) und Franz Strasser
(Geislingen/Steige) nahmen aus gegebenen Anlass den Fahrplan freilich nicht
mehr so genau, um die Abschieds-reden in Boll, Dürnau und Schlat nicht zu
unterbrechen. Redner waren der damalige Boller Bürgermeister Klaus Pavel,
Friedrich Buchmaier, Bürgermeister von Dürnau, sowie die Vertreter der
Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) Joachim Leitow und Jürgen
Speigl, die allesamt überaus kritische Töne zur praktizierten
Verkehrspolitik und zu den verfehlten Chancen der Bahnlinie Göppingen - Boll
fanden, doch auch optimistische Perspektiven zum Fortbestand der Strecke als
Museumsbahn bzw. Optionen einer späteren Reaktivierung wurden angesprochen.
Punkt 13.17 Uhr schickte BM Klaus Pavel den vollbesetzten, mit Blumen und
Transparenten geschmückten Zug in Boll auf seine letzte Reise nach
Göppingen, welche statt den fahrplanmäßigen 22 Minuten fast eine Stunde
dauern sollte. Eine heitere Note gab es an jenem denkwürdigen Samstag am
Haltepunkt St. Gotthardt, denn dort hatte sich eine eher lustige Runde bei
Musik, Getränken und zwei Geißen in Anlehnung an die bekannte “Schwäbische
Eisenbahn” versammelt, um auf Ihre Weise Adieu zu sagen. Exakt um 14.14 Uhr
kam die Schienenbusgarnitur schließlich am Bahnsteig Gleis 7 des Göppinger
Bahnhofes zum stehen. Rasch füllte sich der Bahnsteig mit großer Zahl
aussteigender Fahrgäste und Schaulustigen, die noch ein letztes
Erinnerungsfoto vom “Boller Mariele” schießen wollten. Was dabei nur wenigen
bewusst war: Ab dieser Minute ist der Bahnhof Göppingen, aus dem einst Züge
in alle vier Himmelsrichtungen abfuhren, endgültig zu einem 08/15 -
Durchgangsbahnhof geworden. Mit dieser Minute fand zudem das in den 80er
Jahren forcierte Nebenbahnsterben im Filstal seinen Abschluss:
- Strecke SPNV eingestellt
- Süßen - Donzdorf - (Weißenstein) 30.05.1980
- Geislingen - Deggingen - (Wiesensteig) 30.05.1980
- Göppingen - Schwäbisch Gmünd 02.06.1984
- Göppingen - Boll 27.05.1989 .
In Folge der Einstellung des Bahnverbindung wurde das
Busangebot im Voralbbgebiet den neuen Gegebenheiten
angepasst. Neben leicht geänderten Linienführungen erfolgte eine Aufstockung
der Verbindungen und der bedienten Haltestellen. Die Bahnbuslinie 7672
Göppingen - Boll wurde tariflich in das Busnetz im Raum Göppingen - Süd
integriert, die bisher bestehenden ehemaligen Bahn-anschlüsse an die Züge in
Göppingen blieben (zumindest theoretisch) weitgehend erhalten. Als weitere
Maßnahmen wurde der Bahnhof Boll und die Agentur Schlat geschlossen,
Expressgüter wurden mittels Spediteur per LKW zum Bhf. Göppingen
transportiert.
Das damals relativ dürftige Frachtaufkommen - vorwiegend
noch Holztransporte - beschränkte den Güterverkehr auf
sehr unregelmäßige Bedarfsfahrten per Kleinlokomotive der BR 335 (Köf).
Holzverladestellen waren hauptsächlich die Bahnhöfe Boll und Heiningen, in
Holzheim wurde noch selten die Spedition Wackler bedient, sowie im Holzheimer
Bahnhof Flugasche des Müllheizkraftwerkes Göppingen
sowie Schrott verladen. Zum 28.02.1992 wurde das Ladegleis in Boll
gekündigt, der vorgesehene Rückbau konnte verhindert werden. Im Dezember
1992 rammte ein Kran-LKW die Stahlbrücke über der Ulmer Straße in Göppingen,
diese wurde im April 1993 ausgebaut und wieder repariert!
Mit der Fusion der beiden deutschen Staatsbahnen zur
Deutschen Bahn AG am 01.01.1994 kam es zur Gründung
finanziell eigenverantwortlichen Geschäftsbereiche (GB),
der Bau und Betrieb des Schienennetzes oblag nunmehr
dem GB Netz, für den Güterverkehr war der GB Ladungsverkehr des
Regionalbereiches Stuttgart zuständig. Letztere Stelle unterrichtete zur
Jahresmitte 1994 (Anm.: ab diesem Zeitpunkt begannen die Aktivitäten der
Initiative EIN NEUER ZUG IM KREIS) die Anliegergemeinden über die
Einstellung des Güterverkehres auf den Nebenbahnen nach Boll und
Donzdorf zum 29.09.1994.
Gemäß § 11 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG)
stellte die DB AG bei der Eisenbahnaufsichtsbehörde den
Antrag auf Stillegung der Infrastruktur. Dieses Stillegungsverfahren zog
sich bis zum Jahresende 1997 hin. Grund hierfür war, dass zur Stillegung
anstehende Bahninfrastruktur ausgeschrieben werden muss, ob ein Dritter die
Infrastruktur betriebsfähig von der DB AG übernehmen will. Da der einzige
Bewerber zur Übernahme, die “Pfalzbahn” nicht zum Zuge kam, wurde die
Stillegung der Infrastruktur zum 15.12.1997 vollzogen. Einzig von der
Stillegung verschont blieben die Gleisanschlüsse der Fa. Leonhard Weiss in
Göppingen. Während des Stillegungsverfahren befuhren noch zahlreiche, meist
vom Förderverein EIN NEUER ZUG IM KREIS e.V. initiierte Sonderzüge
die Boller Bahn.
weiter mit [Edition 9:
Tourismus und Sonderzüge] |
Geschichte
im Detail
verfasst von Michael Ott
Mit Engagement und Akribie befasste sich Michael Ott mit der Geschichte
der Boller Bahn.
Die folgenden Aufsätze geben ein umfassendes Bild der Entwicklung von der
ersten
Planung bis zur vorläufigen Stilllegung im Jahr 1989
Edition 1
Die Planungsphase seit 1899
Edition 2
1912 Expose von Dr. Keck
Edition 3
Das Endstadium der Planung
Edition 4
1926
Streckenbeschreibung
Edition 5
Die Eröffnung 1926
Edition 6
Fünf Jahrzehnte
Betriebsalltag
Edition 7
Auf dem Weg zur Stilllegung
Edition 8
Vorläufiger Abschied
Edition 9
Tourismus und Sonderzüge
Edition 10
Bahnhöfe und Gleisanschlüsse
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