Die Geschichte der Nebenbahn
Göppingen - Boll Kapitel 7:
Auf dem Weg zur Stilllegung
von Michael Ott
Die kritische Phase bis zur Betriebseinstellung im Jahr 1989 ist
Bestandteil des siebten Beitragteils zur Geschichte der Voralbbahn.
Bedingt durch die einsetzende Massenmotorisierung gingen die
Fahrgastzahlen bei den Eisenbahnen in den 60er Jahren merklich zurück, auch
die Boiler Bahn machte hier keine Ausnahme. Zu jener Zeit benutzten täglich
noch über 2.500 Personen das Zugangebot (12 Zugpaare) im Voralbgebiet, als
die Bundesbahndirektion Stuttgart betriebliche Rationalisierungsmaßnahmen
einleitete:
Der Fahrzeugpark wurde modernisiert („Verdieselung", 1966) und z.T. in
die Strecke investiert (z.B. neue Stahlbrücke über die ehemalige B 10,
1959), was eine Fahrzeitreduzierung auf 25 Minuten je Fahrt zur Folge hatte.
Es erstaunt deshalb umso mehr, dass 1967, also genau ein Jahr nach
Einführung der modernen Schienenbusse, das gefürchtete Wort „Stilllegung"
erstmals in der Presse auftauchte. Besonders für die Kurgemeinde Boll unter
ihrem Bürgermeister Hans Pfeifer erschien dieser „Sparmaßnahmen-Vorstoß" der
Bundesbahn als ein Katastrophenszenario, reiste doch die Mehrzahl der
Kurgäste damals noch per Bahn an. Nach heftigen Reaktionen seitens der
Anliegergemeinden beruhigte sich die Lage vorerst wieder, doch Zäsuren
blieben nicht aus: Die Unterwegsbahnhöfe wurden mit Ausnahme von Schlat in
unbesetzte Haltepunkte umgewandelt und zum Teil verkauft, ab 1975 übernahmen
Bahnbusse an Samstagnachmittagen und Sonn- und Feiertagen den Verkehr.
Im November 1977 startete die DB schließlich einen zweiten „Anlauf und
leitete ein Stilllegungsverfahren für die Gesamtstrecke ein. Zu den
Protesten der Gemeinden gesellte sich diesmal auch die Landesregierung mit
„grundsätzlichen Erwägungen" im Hinblick auf die noch unvergessene Ölkrise
(Stichwort „Energiesparen") mit dem Ergebnis, dass das Verfahren ausgesetzt
wurde. Am Angebot von nunmehr 16 täglichen Zugpaaren änderte sich in der
Folgezeit nichts, dennoch sank die Zahl der Reisenden von 1978 bis 1985 um
35 % (Zahlen ermittelt vom Landratsamt Göppingen). Diese unerfreuliche
Entwicklung wurde entscheidend durch den Umzug des
Werner-Heisenberg-Gymnasiums aus dem Göppinger Stadtteil Bodenfeld und die
hieraus folgende Verlegung der Schulen in Holzheim beschleunigt.
Vor dem Hintergrund eines jährlichen Betriebsdefizits von rund 1 Million
DM, das die DB alleine nicht mehr zu tragen bereit war, begann nun die
„heiße" Phase mit Verbesserungsvorschlägen, Untersuchungen und Gutachten
durch die Gemeinden, der Landkreisverwaltung und der DB. Im Jubiläumsjahr
der Eisenbahn in Deutschland (1985) wurde die Boller Bahn noch täglich von
über 1.000 Fahrgasten frequentiert, was einem Reisendenaufkommen von 10 %
des Göppinger Bahnhofes entsprach. Diese für eine Zweigbahn überaus solide
Grundlage hätte jetzt als Basis für einen künftigen (und vernünftigen)
Schienenpersonennahverkehr (SPNV) genutzt werden müssen! Die gestellten
Forderungen lauteten unisono:
- Einführung eines 30- bzw. 60 Minuten-Taktverkehrs mit direkten
Bahn-Anschlüssen in Göppingen.
- Fahrplanmäßige Verknüpfung Bahn / Bus
- Neue Fahrzeuge mit Einmannbedienung Einheitliche Tarifgestaltung Bahn
/ Bus
- Einführung von Spezialtarifen für Sonderfahrten (z.B. Wanderfahrten,
Badefahrten)
- Zeitgemäße Werbung und Öffentlichkeitsarbeit Instandsetzung und
Modernisierung der Bahnhöfe und Haltepunkte
- Neue Haltepunkte in der Göppinger Fabrikstraße, im Bodenfeld und
Industriegebiet Eschenbach. Verlegung des Bahnhofes in Holzheim in die
Ortsmitte
- Beteiligung der Gemeinden und des Landkreises am Betriebsdefizit.
Einer Studie des Landratsamtes Göppingen von 1985 zufolge, würden die
Investitionen zur Modernisierung der Bahnanlagen und zur Beschaffung von
zwei neuen Triebwagen der Baureihe 628/928 insgesamt 6,3 Millionen Mark
betragen, wobei für 45 % dieses Bedarfs Finanzierungszusagen vorlagen: Land
Baden-Württemberg 2,1 Mio. DM, Landkreis Göppingen 700.000,- DM, Gemeinde
Eschenbach 50.000,- DM; von den anderen Kommunen existierten generell keine
Zusagen.
Der große Knackpunkt stellte indes das jährliche Betriebsdefizit dar,
weil in diesem Punkt von keiner Seite ein finanzielles Engagement erkennbar
war. Noch im Jahre 1985 wurden die Einstellungsbestrebungen der DB immer
offensichtlicher. Auch der im Februar 1986 zwischen der DB und dem Land
unterzeichnete Vertrag über die statusgemäße Beibehaltung des SPNV für die
nächsten 10 Jahre hinderte die DB nicht daran, ihre beabsichtigte
Stilllegung der Boller Bahn durchzusetzen, zumal zwischen 1985 und 1987 die
Fahrgastzahlen abermals um 20 % zurückgingen.
Die Bahndirektion Stuttgart leitete schließlich am 11. März 1987 das
gesetzliche Verfahren zur Einstellung des Personenverkehrs ein, ohne ein vom
Landkreis bei Prof. Heimerl in Auftrag gegebenes und im Juni 1987 erwartetes
Verkehrsgutachten abzuwarten. Der Güterverkehr war vorerst nicht davon
betroffen. Zitate aus einem Brief des Präsidenten der DB Stuttgart, Ulf
Häusler, an den Boller BM Klaus Pavel: „Das große Interesse der
Öffentlichkeit an ihrem Bähnle kommt möglicherweise im Wunsch auf Erhaltung
des Schienennahverkehrs, nicht aber in dessen Nutzung zum Ausdruck." und
„... es muss unmissverständlich darauf hingewiesen werden, dass der
Fortführung des SPNV durch die DB nur entsprochen werden könne, wenn Dritte
die Kosten voll übernähmen ...".
Nach Durchlauf aller Instanzen (Innenministerium - DB-Verwaltungsrat -
Bundesverkehrsministerium) verkehrte schließlich am 27. Mai 1989, einem
sonnigen Samstag, der letzte fahrplanmäßige Zug über die Boller Bahn. Die
„Angebotsumstellung" war vollzogen! weiter mit [Edition 8:
Vorläufiger Abschied] |
Geschichte
im Detail
verfasst von Michael Ott
Mit Engagement und Akribie befasste sich Michael Ott mit der Geschichte
der Boller Bahn.
Die folgenden Aufsätze geben ein umfassendes Bild der Entwicklung von der
ersten
Planung bis zur vorläufigen Stilllegung im Jahr 1989
Edition 1
Die Planungsphase seit 1899
Edition 2
1912 Expose von Dr. Keck
Edition 3
Das Endstadium der Planung
Edition 4
1926
Streckenbeschreibung
Edition 5
Die Eröffnung 1926
Edition 6
Fünf Jahrzehnte
Betriebsalltag
Edition 7
Auf dem Weg zur Stilllegung
Edition 8
Vorläufiger Abschied
Edition 9
Tourismus und Sonderzüge
Edition 10
Bahnhöfe und Gleisanschlüsse
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